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Der verzauberte Traum einer Vollmondnacht

Es hatte den Anschein, als wollte der Mond den Eindruck erwecken, er verstecke sich vor der Träumerin.

Mit einem silbernen Schleier verdeckte er seine strahlende Helligkeit, um ihr einen seltsamen, geheimnisvollen Traum zu schicken.

Keinen geringeren als Napoleon I., den großen Kaiser der Franzosen hatte er sich ausgesucht, ihren Schlaf zu verwirren.

Auf dem Rückzug nach einer verlorenen Schlacht, schlug der mächtige Kriegsherr sein Feldlager in ihrem Garten auf.

Sehr darauf bedacht, sie nicht zu erschrecken, stand er ganz plötzlich vor ihr.

Nur für einen kurzen Augenblick hatte sie ihn wahrgenommen, doch in diesem Moment - es

war nur ein Augenaufschlag - wurden ihre Blicke gefesselt von seinem sonderbaren, über

und über mit blau-weiß-roten Bändern und Blüten bedeckten Hut.

So gar keine passende Kopfbedeckung war das für einen - wenn auch besiegten - großen

Kaiser.

Und doch nahm sie dieses eigenartig geschmückte Gebilde mit hinüber in ihre Träume.

Zeitlos war das Geschehen.

Vieles erweckte den Eindruck, als spielte die Geschichte in einer Nacht des 20. Jahrhunderts oder narrte sie der Traum erneut - und es war zur Zeit Bonapartes?

Das große Himmelsgestirn machte sich - wie schon so oft - das Vergnügen, die Wirklichkeit auszuschalten.

Napoleon war müde, doch wie könnte es bei dem großen Eroberer auch anders zu erwarten gewesen sein, versuchte er - und scheinbar mit Erfolg - das Interesse der schlafenden Frau zu wecken.

 

Unruhig wurde ihr Schlaf -

auch sie war in ihrem Traum auf der Flucht und versuchte mitzunehmen, was ihr lieb und

wichtig erschien.

Sonderbar - voll relevant waren ihr: Schere, Nadel und Faden. Was mochte sie wohl zu diesem eigenartigen Einfall geführt haben?

Ich denke, sie wollte ganz einfach versuchen - mit Hilfe dieser banalen Utensilien - Napoleons Hut, der absolut keine Brücke schlug zu seinen sonstigen Ansprüchen auf Größe und Einzigartigkeit, diesen Kopfputz wollte sie von allem unnötigen Zierrat befreien.

Schwarz sollte er wieder werden, wie auf den großen Gemälden, mit goldener Borte und einer Rosette in den Farben der Trikolore.

Abgesehen von ihrem Wunsch:

Das Outfit des Kaisers seinem Feldherrn-Nimbus anzupassen, wurde die schöne Träumerin doch etwas ängstlich, als er sie bat, in sein Zelt zu kommen.

- Sie war schließlich nicht die Königin Luise von Preußen und hatte keinen Friedrich Wilhelm im Hintergrund.

Schneeweiß und prunkvoll war sein Zelt, hart und spartanisch sein Bett und auf diesem

Lager offenbarte er ihr seine geheimsten Träume,

die, die schon ausgeträumt waren und die, die er sich noch erhoffte.

Doch da setzte sich der Mond wieder in Szene, warf ein Stück seines Schleiers über das Zelt, überzog es mit einer geheimnisvollen Patina und verwischte

erneut die Spuren der Zeit. Vor allem aber war er bemüht, mit der Vergangenheit des großen Korsen jonglieren zu können.

Fast bizarr schien der Träumenden die Erinnerung Napoleons an eine frühe, zarte Liebesgeschichte zu sein.

 

Es war schon sehr erstaunlich, dass er der Frau neben sich auf seinem harten Lager überschwänglich und begeistert von den weichen, üppigen und dicken Daunenkissen im Bett der jungen Dame vorschwärmte.

Nicht etwa von der einstigen Geliebten selbst, auch nicht von den rauschenden Festen in Versailles oder was noch näher gelegen hätte, von seiner Josephine.

Nein, seine ganz Sehnsucht galt jenem Bett und ertrank in den Daunenkissen, in denen er versinken wollte mit all seinen Träumen.

Armer, großer Kaiser!

Wehmut empfand die Schläferin, als die Wirklichkeit wieder zurückkam.

Faszinierend und zauberhaft war dieser Traum gewesen,

der Traum einer Vollmondnacht.

Rätselhaftes Gestirn, das Träume schickt, um die Wirklichkeit zu entmachten!




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