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La Bohème im Ringelspiel - Bilder

Anfang der 50er Jahre in einer süddeutschen Stadt.

Jahrmarkt war - Frühjahrsmesse.

Nach all dem Chaos gaben sich hier, auf ihrem angestammten Platz, übrig gebliebene Karussells und Buden - frisch herausgeputzt in leuchtenden Farben - ein Stelldichein.
Ein flimmernder, glitzernder Traum, wie aus lange vergangener Zeit.

Sibille genoss den Abendbummel über den hell erleuchteten 'Messplatz' mit ihrem Bruder und Freunden.
Sie freute sich über die willkommene Abwechslung und wie schon so oft, ließen sich ihre Gedanken entführen - begann ihre Phantasie Kapriolen zu schlagen.

Ein Flüstern und Raunen glaubte sie zu hören. Fast vergessene Geschichten und Legenden wussten sich die alten Fahrgeschäfte und Verkaufsbuden zu erzählen und manches pikante Histörchen wurde so - mit einem tiefen Seufzer der Erinnerung - preisgegeben.

Für Sibille war es ein Streifzug durch die Welt der Illusionen ... .
Was für ein unbeschreibliches Gefühl im Kettenkarussell - mit einem kleinen Kribbeln im Bauch - weit nach draußen fliegen zu können, hoch über die fassungslosen Gesichter hinweg zu schweben.

Grenzenlos schien die Freiheit zu sein - trotz der jammernden Drehorgel - wem weinte sie wohl nach? Sicherlich nicht der fröhlichen, ausgelassenen Clique, die sogar den Schausteller dazu brachte, das Ringelspiel für die Kleinen noch einmal extra für die übermütige Gesellschaft laufen zu lassen.
Bestimmt taten ihm aber auch die paar Mark gut, die er nebenbei bekam, denn große Kinder zahlen bekanntlich freiwillig das Doppelte, nur um verrückt spielen zu dürfen.
Auf kleinen Motorrädern wurde gefahren, im roten Feuerwehrauto mit lautem Gebimmel und fast schien es, dass sogar die bunten Pferdchen Lust bekamen, spät am Abend noch einmal auf Trab gebracht zu werden.
Im diffusen Licht von Scheinwerfern und Dunstwolken, die alles einhüllten, gaukelten sie ihren Reitern vor, auf stolzen Araberhengsten durch die Wüste zu jagen ... .
Eine Fata Morgana oder ganz einfach nur Sehnsucht nach Leben?

Andere Karussells gab es nur noch wenige, die meisten hatten die Kriegsjahre nicht überlebt oder sie hatten viele Macken davon getragen - Narben und Schrammen, die aber niemand beachtete, schließlich hatte jeder etwas abgekriegt.

Umso größer war die Begeisterung, dass es die alte 'Raupe' noch gab. Ein aus heutiger Sicht völlig harmloses, langsames Gefährt, bei dem allerdings - und das war die besondere Attraktion - während der Fahrt plötzlich ächzend und scheppernd das Verdeck zuging. Damals hatte dieses Karussell einen durchaus reizvollen Touch, denn je nach Partner, konnte das Ganze durchaus spannend werden.
Man wollte einfach Spaß haben und genießen.

Süchtig machen konnte schon allein der Geruch nach gebrannten Mandeln - Köstlichkeiten, die mit viel Geschick in großen Kupferkesseln über der Glut geröstet wurden.
Dieser schwere, würzige Duft, der die Luft des ganzen Platzes erfüllte, ließ die Erinnerung an einen orientalischen Markt wach werden
- die verführerischen Bewegungen einer Bauchtänzerin, die vor einer der Buden auftreten könnte, ließen sich fast körperlich erspüren.

Auch Zuckerwatte gab es an langen Holzstäbchen.
Phantastische Gebilde, die großen zusammengeballten Spinnennetzen glichen, nur dass sie schneeweiß waren und süß - vor allem süß.

Der absolute Höhepunkt - die Krönung - war aber schließlich ein Glas Glühwein, heiß und betörend, die Sinne verwirrend
- phantastisch!

Sollte da Sibille nicht leichtsinnig werden und sich über die Avancen eines Freundes ihres Bruders freuen?

Um noch einmal zu resümieren:
Verführerische Süßigkeiten, Glühwein, ein attraktiver Mann und überschäumende Lebensfreude, das waren doch die besten Voraussetzungen für einen heißen Flirt.

Eine rote Rose wurde für sie geschossen - eine Rose,
auch wenn die Stimme von Rosita Serano, die aus dem verbeulten Trichter des alten Grammophons erklang, vom "Roten Mohn" sang, "der so schnell verwelkt und das lodernde Herz vergisst ..."

Koketterie kam ins Spiel.

Sibille kannte sich aus in dieser Disziplin. Sie fing die Rose auf und nahm sie mit ins Riesenrad, in das Karussell mit den verschwiegenen Gondeln, die sich noch eine Spur von Plüsch und Flitter bewahrt hatten, genug fürs Herzflattern.

Eine kleine Affäre - hoch über dem nächtlichen, lichterglänzenden Rummelplatz - die Gondel blieb eine kleine Zeit oben stehen - verschwiegen - durch eine Fahrpreiserhöhung erkauft!

Wie sang Michael Heltau?
"... und alles dreht sich rundherum im Kreise ..."

Eine romantische Liebelei in der damals sonst eigentlich eher wilden Zeit.

Es waren Sibilles Knie, die ein bisschen zitterten, nachgeben wollten, als sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte,
ein Gefühl, wie Schritte über Wolken;
ein Gefühl, das mit Sicherheit nur durch Überwindung des Höhenunterschiedes ausgelöst wurde!

Immerhin wäre das die plausibelste Erklärung
- oder versetzte sie sich in ihren versponnenen Gedanken vielleicht in den 'Wiener Prater', ins Wiener Milieu,
- verfiel sie dem Charme längst vergangener Zeiten?
Auch das wäre eine Variante gewesen.

Es war Sibilles Vater, der etwas gegen diese Liaison hatte.
So wurde sie bewacht, der Geliebte fuhr in die Semesterferien,
und langsam ganz langsam verlor sich der Traum, bis er schließlich zerriss.

Doch tief genug war dieser Riss wohl nicht gewesen, denn ein paar Jahre später sind sich die beiden noch einmal begegnet - und das ausgerechnet an Sibilles Verlobung, bei einer kleinen abendlichen Nachfeier in einem reizvollen Hotel der Umgebung.
Wie ein Urknall war es, als er plötzlich vor ihr stand und sie zum Tanz aufforderte.

'Don Giovanni' fiel ihr spontan ein, Mozart und Casanova und ihre vielen kleinen und großen Intrigen, die diese herrliche Musik von 'Amadeus' begleiteten.

Musik und Tanz riefen schon immer Gefühle in ihr wach, die sie nicht leicht steuern konnte und die dafür sorgten, dass die Vernunft meistens auf der Strecke blieb, so war es ein gefährliches Spiel, auf das sie sich da einließ.

Trotzdem - ein paar schöne gemeinsame Tänze und ein zärtlicher Abschied
- dieses Adieu gestand sie sich noch zu, bevor sie zu ihren Gästen und dem Mann, den sie heiraten wollte, zurückging.

Ihre Abwesenheit war nicht aufgefallen, man hatte sich sehr gut ohne sie unterhalten und 'La Boheme', das hatte ihr ohnehin keiner zugetraut.

Sibille aber hatte sich entschieden, sie wollte das Riesenrad nicht mehr zurückdrehen, auch nicht nach allem was war

- damals im Ringelspiel ...

© 2005 Ingeborg Hoven



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